Der „andere Fußball“ beim „etwas anderen Verein“: „100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ ist das Motto der neuen Sonderausstellung, die das FC St. Pauli-Museum am Millerntor ab dem 22. Oktober 2020 in Hamburg zeigt.
Besucher*innen erwartet eine Reise in ein fast vergessenes Sport-Universum – und ganz nebenbei die Aufklärung eines weit verbreiteten Missverständnisses über den FC St. Pauli.
„Der FC St. Pauli wird gern als Arbeiterverein bezeichnet“, so Christoph Nagel, Vorstandsmitglied des Betreibervereins 1910 – Museum für den FC St. Pauli e.V. und Kurator der aktuellen Dauerausstellung Kiezbeben 2.0. „Das trifft in dieser Form aber nicht zu: Zwar haben im FC St. Pauli viele Arbeiterinnen und Arbeiter Sport getrieben, und noch mehr waren im Publikum. Zur Arbeitersportbewegung gehörten die „Kiezkicker“ jedoch nicht“.
In der heutzutage fast vergessenen Arbeitersportbewegung organisierten sich ab Ende des 19. Jahrhunderts Männer und Frauen aus der Arbeiterbewegung, um Sport und Klassenbewusstsein miteinander zu verbinden und sich vom nationalistisch ausgerichteten bürgerlichen Sportbetrieb abzugrenzen. Ihre große Zeit erlebte sie bis 1933.
Unmittelbar nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler zerschlugen die Nationalsozialisten den Arbeitersport. Viele seiner Protagonisten wurden verfolgt, inhaftiert und ermordet. Trotz der Lebensgefahr beteiligten sich Arbeitersportler aktiv an antifaschistischen Widerstandsaktionen und Widerstandsgruppen im Untergrund.
„Der andere Fußball. 100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ ist vom 22. Oktober 2020 bis 20. Dezember 2020 im FC St. Pauli-Museum am Millerntor, Heiligengeistfeld 1, 20359 Hamburg zu sehen.
Der Eintritt ist im regulären Museumsticket inbegriffen (7 Euro Standard / 4 Euro ermäßigt).
Öffnungszeiten: Do. 15-22 Uhr, Fr. 15-19 Uhr, Sa.+So. 11-19 Uhr.
Gesonderte Öffnungszeiten für Teilnehmende des Geschichtswettbewerbes auf individuelle Vereinbarung unter lernort@1910-museum.de.
Ein eigenes Sport-Universum
Als Teil der Arbeitersportbewegung hatten die Arbeiterfußballer eigene Verbände und Vereine, eigene Ligen, eigene Meisterschaften, eigene Publikationen – und eine eigene Philosophie: Als „Sport für alle“ setzte sich der Arbeitersport die Erhaltung der Gesundheit als oberstes Ziel. Der sportliche Erfolg sollte diesem Streben untergeordnet sein. Darum galt es im Arbeiterfußball als Ausdruck besonderer Fairness, auf Elfmetertore zu verzichten. Vielfach wurde der Ball bei Strafstößen bewusst vorbei oder in die Hände des Torwarts geschossen.
Auch die Friedensförderung wurde im Arbeiterfußball großgeschrieben: Obwohl – oder gerade weil – die europäischen Arbeiter im Ersten Weltkrieg die meisten Opfer zu beklagen hatten, erwuchs bei ihnen der Wunsch nach sportlichen Kontakten zu ehemaligen „Feinden“. Während die Länderauswahl des Deutschen Fußball Bundes (DFB) erst 1931 das erste Mal gegen Frankreich spielte, reiste eine Auswahl des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB) schon 1924 aus Deutschland zum „Arbeiter-Länderspiel“ nach Paris.
„Eng verknüpft mit der Geschichte der deutschen Demokratie“
Erstellt wurde die „Arbeiterfußball“-Ausstellung von den Experten des 2017 gegründeten Paderborner Kreises – Arbeiterfußball e.V. um den Sporthistoriker und Gesamtschulleiter Dr. Eike Stiller. Ihre Premiere feierte die Wanderausstellung im Deutschen Fußball Museum im Herbst 2018.
Dass sie nun in Hamburg-St. Pauli Station macht (eigens ergänzt um ein neues Kapitel zum Arbeiterfußball in Hamburg), geht auf die Initiative des Projekts BAM! Bildung am Millerntor zurück, das als Teil von 1910 – Museum für den FC St. Pauli e.V. und unter dem Dach der bundesweiten Initiative Lernort Stadion e.V. Workshops für Schulklassen und Jugendgruppen veranstaltet.
„Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist eng verknüpft mit der Geschichte der deutschen Demokratie“, so Hanna Christian, die BAM! mit Fabian Fritz leitet. „Als Lernort der politischen Bildung ist Demokratiepädagogik ein grundlegendes Ziel unserer Workshops.“
Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten
Zugleich findet die Hamburger Arbeiterfußball-Ausstellung im Kontext der 27. Ausschreibung des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten statt, den BAM! unterstützt. Der Geschichtswettbewerb wird seit 1973 von der Hamburger Körber-Stiftung ausgerichtet.
„Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“ ist das diesjährige Motto, zu dem Teilnehmer*innen in Einrichtungen wie eben dem FC St. Pauli-Museum historische Themen erforschen und in Wettbewerbs-Beiträgen verarbeiten: „Im aktiven Lernen im Museum sollen die Teilnehmenden dazu angeregt werden, Inhalte selbst zu erforschen und sich individuell und in der Gruppe mit Sachverhalten, Einstellungen und Verhaltensmustern kritisch auseinanderzusetzen und damit am Geschichtswettbewerb teilnehmen“, erklärt Fabian Fritz.
Die Vernissage findet am 21. Oktober 2020 ab 19:10 Uhr statt. Es spricht u.a. BAM!-Schirmherr Ewald Lienen. Aufgrund der Corona-Situation ist die Zahl der Teilnehmer*innen auf 40 begrenzt. Interessent*innen melden sich bitte unter: info@bildung-am-millerntor.de.
Schreibe den ersten Kommentar