Fußball im Kriegsgefangenenlager Sandbostel und in Hamburger Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos. Ein Vortrag von Andreas Ehresmann. 27. März 2018, 19 Uhr, Fanräume im Millerntor – Stadion. Veranstaltet vom Fanladen St. Pauli.
Gegen viele Vorgaben des internationalen Übereinkommens zum Schutz der Kriegsgefangenen von 1929, insbesondere bei der Unterbringung und der Ernährung der Kriegsgefangenen wurde bei allen Gefangenengruppen im Kriegsgefangenenlager (Stalag) X B Sandbostel systematisch und teilweise in erheblichem Ausmaß von der Wehrmacht verstoßen. Umso mehr erstaunt, dass sportliche und kulturelle Betätigungen für viele Gefangenengruppen, mit Ausnahme der sowjetischen Kriegsgefangenen, gestattet waren.
Diverse von den Kriegsgefangenen praktizierte Sportarten – bis hin zu so exotischen wie Cricket, Baseball, Fechten und dem baskischen Rückschlagspiel Pelote – zeitgleich 114 französische Fußballmannschaften in den Arbeitskommandos im Mai 1944 und einige große mehrtägige Turniere um den „Coupe de Maréchal“ mit mehreren „Nationalmannschaften“ passen so gar nicht in unser Bild und allzu leicht gerät in Vergessenheit, dass es sich bei dem Ort der Spiele um ein nationalsozialistisches Kriegsgefangenenlager handelte. Es bedarf einer Kontextualisierung.
Deutlich macht das vielleicht die Bildunterschrift unter einem heimlich aufgenommenen Foto eines Fußballspiels von italienischen Militärinternierten. Das Foto unterscheidet sich nicht von anderen, offiziellen Fotografien und Knipseraufnahmen von Fußballspielen im Lager. Lediglich die Bildbeschriftung des Fotografen, Vittorio Vialli, verweist auf die Situation in der gespielt wurde. Vialli schreibt, dass die italienischen Militärinternierten erst nachdem sie zusätzliche Nahrungsmittel durch das Internationale Rote Kreuz erhalten hatten, körperlich überhaupt in der Lage waren, Fußball zu spielen.
In eine gleiche Richtung gehend beschreibt auch der ehemalige französische Kriegsgefangene Alain le Duizet, dass die französischen Fußballspieler leidenschaftlich und von vielen Zuschauern begleitet ihren Sport ausgeübt haben, obwohl die Nahrung eigentlich für solch eine Anstrengung gar nicht ausreichend war.
Es entsteht also ein Missverhältnis zwischen Fotografien und offiziellen Berichten in der Lagerzeitung und der Realität.
Realität war beispielsweise, dass die Kriegsgefangenen zwar Sport treiben durften, für die Anlage von Plätzen oder die Beschaffung des Sportgerätes aber selbst verantwortlich waren. Es gab keinerlei Unterstützung durch die Wehrmacht.
Und dass Fußball stets unter den Bedingungen eines Kriegsgefangenenlagers gespielt wurde, zeigt auch ein Vorfall, von dem der ehemalige belgische Kriegsgefangene Roger Cottyn in seiner Biografie berichtet:
„Bei einem Fußballspiel fliegt der Ball über den Sicherheitsdraht in den Graben. Ein Spieler springt über den Draht, um den Ball zu holen.
Der Posten, der nur wenige Meter entfernt auf seinem Wachturm steht, hat sicherlich diesen Vorgang bemerkt. Trotzdem schießt er dem Franzosen, als dieser sich nach dem Ball bückt, ins Bein. War das wirklich nötig? Es war natürlich verboten über den Draht zu steigen. Das wusste jeder Kriegsgefangene. Aber hier war man bei einem Fußballspiel, der Mann wollte doch nicht fliehen.“
Fußball und sportliche Betätigungen war nur in dem offiziellen, von der Wehrmacht geduldeten Rahmen möglich. Das zeigt auf einer niedrigschwelligen Ebene ein Beispiel des schon zitierten Roger Cottyn, der am 21. Juli 1940 nach der Feldarbeit mit einem weiteren Kriegsgefangenen und dem Bauernsohn auf dem Hof Fußball spielte, auf dem er zur Arbeit eingesetzt war.
Als ein Wachsoldat ihn abholt, um ihn zurück zur Unterkunft zu bringen, werden die Bauern von dem Soldaten streng ermahnt, dass Kriegsgefangene zum Arbeiten da seien, nicht zum Spielen. Cottyn berichtet weiter, dass am nächsten Tag ein Plakat an der Scheune hing, mit dem Slogan „Feind bleibt Feind“.
In dem Vortrag wird Andreas Ehresmann das Sportwesen im Stalag X B und in den Arbeitskommandos am Beispiel des Fußballs darstellen und untersuchen, wie die Möglichkeiten und was die Motivation der Kriegsgefangenen war, ihren Sport unter den Bedingungen der Kriegsgefangenschaft auszuüben.
Andreas Ehresmann ist u.a. Geschäftsführer der Stiftung Lager Sandbostel und Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel, über die ihr euch auf stiftung-lager-sandbostel.de informieren könnt.
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