(Edit von um 23 Uhr am Artikelende)
Ich gehe so gut wie nie ins Kino, jedenfalls nicht in diese Mainstreamkinos mit ihren Blockbustern, weil man deren Filme wenige Monate später ohnehin im FreeTV in der x-ten Widerholung sieht. Viel interessanter rund ums Thema Kino finde ich Dinge, die mich direkt betreffen. Filme über den Stadtteil, in dem ich lebe – den Essohäuserfilm. Filme über Gentrification im Viertel. Oder Filme, die ich im FreeTV (außer auf Arte) eher nicht sehen werde können. Vielleicht auch mal echte Klassiker (Taxi Driver!), die man immer mal wieder gerne sieht – die aber trotzdem kein Mainstream sind. Außerdem bevorzuge ich Freiluftveranstaltungen, gerade in Momenten, wo eben viele sonstige Eindrücke auf mich einprasseln – Geräusche, optische – bei Freiluftveranstaltungen fällt dann zumindest der Geruchssinn ein wenig weg, ich muss nicht das Popcorn vom Nachbarn riechen. Es gibt freie Platzwahl, ich kann mich also woanders hinsetzen, um den Film aufnehmen, ihn aufsaugen zu können.
Wenn diese Kino – Freiluftveranstaltungen dann in meinem vertrautem Umfeld stattfinden, meinem „Wohnzimmer“, wo ich mich wohlfühle, dann ist das für mich als Autist eine Veranstaltung, zu der ich gehen kann, ohne Gefahr zu laufen in einen Overload oder gar Shutdown zu geraten (weil zu viele unbekannte Eindrücke gleichzeitig auf mich einströmen).
Die bereits seit 2003 immer in der Sommerpause stattfindenden Filmnächte am Millerntor waren eine solche Veranstaltung. Auf diese Veranstaltung freute ich mich jedes Jahr aufs Neue. Sie boten ein abwechslungsreiches Programm abseits des Mainstreams, hatten trotzdem einige Blockbuster – aber vor allem hatten sie Filme, die ich sonst halt nicht sehen konnte. Zu einem vernünftigen Eintrittspreis. In vernünftiger Umgebung. Nein, das Freiluftkino auf dem Rathausmarkt ist keine Alternative dafür. Und die Filmnächte im Schanzenpark werden vom Mövenpickrestaurantshotel im Wasserturm auch nicht gerade abgöttisch geliebt. Und wohlfühlen tue ich mich in diesem „Kaffeespezialitätenviertel“ (er will doch nur 4 Euro für einen Kaffee!) auch nicht.
Das für mich so wichtige Freiluftkinoerlebnis der Filmnächte im Millerntor- Stadion wird es in dieser Form nicht mehr geben, denn der FC St. Pauli (bzw. vermutlich eher die Stadion- Betriebsgesellschaft / FC St. Pauli Service GmbH als 100%ige Tochter) hat das 3001 – Kino, welches diese Filmnächte seit der Retterkampagne veranstaltete, ausgebootet. Mit rein „marktwirtschaftlichen Argumenten“, wie es so schön heißt.
Argumenten, die im Viertel als Gentrifizierung bekannt sind. Die zu steigenden Mieten für Wohnungen und Verdrängung führt – und nun halt auch steigende Mieten für diese Veranstaltung und eben solcher Verdrängung führt. Ein Stadtteilkino, nach Jahren der Zusammenarbeit vom Stadtteilverein herausgedrängt und durch jemanden ersetzt, der ganz schnöde mehr zahlen kann? Und dann, nach jahrelanger Zusammenarbeit, nicht mal auf deren Briefe (Mehrzahl!) reagieren? Tolles Ding.
Das 3001 – Kino ist kein Multiplexkino mit großem Betreiber dahinter, der sich ein kleines bisschen mehr Miete einfach so leisten kann, und mit so einer Veranstaltung im Millerntor dann sein Image aufpolieren kann. Für das 3001 – Kino waren die jährlichen Filmnächte am Millerntor sicherlich was, was existenziell ist – ein Highlight – wie sie das für mich waren. Und der FC St. Pauli meint, mir das jetzt einfach so nehmen zu können? Ersetzt durch irgend einen anderen Betreiber, der dann eben mehr Miete zahlt? Der dann sicherlich auch mehr Eintritt nehmen wird? Der dann mehr für mich mehr uninteressanten Mainstream zeigen wird, um diese Mietkosten wieder einzuspielen? Der die Getränkepreise anders gestalten wird? Der vielleicht dann nicht mal mehr freie Platzwahl ermöglichen wird? Der nicht aus dem Viertel kommt, sondern offenkundig ein national agierender Konzern ist (wenn die schon die „Kieler Woche“ bespielen…)?
Ich will meine Filmnächte am Millerntor zurück! Die echten! Vom Erfinder!
Im Folgenden dokumentiere ich mal komplett, was das 3001 – Kino hierzu schreibt:
Filmnächte am Millerntor
Für den Erhalt der Filmnächte am Millerntor
Rettet die Retter!
Das 3001 Kino ist seit über 10 Jahren der Veranstalter der Filmnächte am Millerntor. Entstanden sind die Filmnächte 2003 im Rahmen der Retter Kampagne für den FC St. Pauli. Da haben wir mehrere Filmvorführungen im Stadion unentgeltlich organisiert und durchgeführt. Ab da durften wir für wenig Geld erst auf der Haupt-, später auf der neuen Südtribüne, immer im Sommer unsere Filmnächte veranstalten.
Wir hatten ganz bewusst weder Sponsoren noch großartig Werbung vor den Filmen, oder anderswo, statt dessen lieber Kurzfilme oder Stadtteilinfos.
Der Verein hat nun beschlossen, mit unserer Idee Geld zu verdienen, und hat dieses Jahr die Filmnächte an einen kommerziellen Anbieter vergeben, der bereit ist, eine deutlich höhere Miete zu zahlen. Dieser bespielt unter anderem auch Schwimmbäder, Weihnachtsmärkte und die Kieler Woche, sein Interesse gilt nicht den Filminhalten, sondern dem Geld verdienen.
Das scheint auch beim FC St. Pauli das einzige Motiv zu sein.
Trotz persönlichen Anschreibens von Vorstand, Präsidium, Aufsichtsrat und Ehrenrat haben wir bis heute keinerlei Reaktion auf unsere Briefe bekommen.
Damit sind wir für dieses Jahr raus.Wir bitten euch, den FC St. Pauli an seine Verantwortung für den Stadtteil zu erinnern.
Wir, das 3001 Kino, möchten ab nächstes Jahr unsere Filmnächte wieder machen, auf der Südtribüne, zu den gleichen Konditionen wie 2014.
Wir zahlen keine höhere Miete!
Unterstützt uns bitte, indem ihr euch an allen erdenklichen Stellen, für den Erhalt der Filmnächte, mit uns als Veranstalter, einsetzt!
Carl und Monsta vom 3001 Kino
Ab dafür! Gebt mir meine gewohnte Sommerpause zurück! Ich brauche meine gewohnten Rituale. Und vor allem brauche ich ein Kinoerlebnis, was ich bewältigen kann und was zu erlebtem Freizeitspass und nicht Stress führt. Auch als Autist möchte ich ins Kino. Wenigstens einmal jährlich, in der Sommerpause. Im vertrautem Millerntor. Mit bekannten Begleitumständen. Planbar. Damit nicht zu viel Unbekanntes gleichzeitig einströmt. Damit ich was vom Film habe. Ihn aufnehmen kann.
Gebt mir meine echten Filmnächte am Millerntor zurück! Damit mein Kinoerlebnis nicht wie hier endet:
Weitere Berichte dazu
Edit, 23 Uhr: Der Übersteiger handelt mal wieder im Sinne eines Printzines, so mit Recherche und so – und bestätigt dabei dann auch gleich meine Vermutung, dass die Preise steigen werden. Und zwar nur für diejenigen, die wenig Geld zur Verfügung haben: der ermäßigte Eintrittspreis steigt von 5 auf 7 Euro, während der Normalpreis bei 8 Euro bleibt. Gentrification, sag ich ja – Verdrängung von nicht so vermögenden…. ohne diejenigen, die genügend Geld zur Verfügung haben damit zu belästigen. Still und leise…
Und der Brief, den sich die vom 3001-Kino erhofft hatten, nachdem sie diverse Stellen im FC St. Pauli angeschrieben hatten? Den Brief gab es. Es wurde allerdings vergessen, ihn abzuschicken. Man. Wha. Gut, dass es keine Lizensierungsunterlagen waren. Brief vergessen abzuschicken…?! Unfassbar.
Ach, und das ganze findet dieses Mal auf der Gegengerade statt? Man sitzt also nicht, wie in den letzten Jahren üblich, auf den weich gepolsterten Business-Seats in der Südkurve, sondern auf schnöden Plastiksitzen? Beim Fußball ist sitzen schon scheiße, wenn es auf solchen Sitzen stattfindet – aber bei einem Kinofilm möchte ich mich doch bitte in einen Sitz hineinfletzen können und meinen fetten Arsch nicht auf diesen nicht anatomisch geformten Plastiksitzen plattsitzen.
Am/Im Arsch, Kinoerlebnis.
Im St. Pauli – Blog vom Abendblatt (hier ist kiezkicker.de, nicht Facebook) steht nun übrigens, dass es der FC St. Pauli war, der auf die neuen Kinobetreiber zuging… das widerspricht ein wenig dem, was der Übersteiger schreibt.
[…] – Kiezkicker – St.Pauli Blog im […]