Oder „Es wäre so schön gewesen“
Abfahrt war morgens um 10 Uhr, jedenfalls sollte sie das, man war pünktlich am Abfahrtsort, aber leider war der Bus nicht da.
Aber so konnte man wenigstens noch ein wenig mit den anderen Mitfahrern (waren ca. 30…) klönen, und so erfuhr ich, dass wohl im Vorfelde des Spieles ein kleines Fussballspiel zwischen uns und den Jenaer Fanprojekt stattfinden solle. Nunja- ob das denn so unbedingt sein musste, es ging schließlich in den steinwerfenden Osten der Republik…
Als dann der Bus endlich ankam, ging es auch gleich los, rauf auf die Autobahn, rein in den obligatorischen Stau vor dem Elbtunnel.
Der war aber erstaunlich schnell durchquert, weiter ging es also.
Bis zum nächsten Stau bei Hannover.
Langsam stellte man fest, dass man wohl nur drei Musikkassetten an Bord hatte…
Diese dudelten dann halt im regelmäßigen Wechsel…
So richtig skurril wurde es dann etwa bei den Kasseler Bergen…
Der Bus quälte sich durch die Berg- und Talbahn und einige der weiter vorne sitzenden Mitfahrer hatten einen „fantastischen“ Einfall, wie sie diesem musikalischen Einheitsbrei von den Orthopädischen Strümpfen und Gildo Horn, Hamburger Arroganz und Fettes Brot (oder was auch immer da lief) Einhalt gebieten konnten:
Sie legten eine Hörspielkassette von TKKG ein.
Ja, tatsächlich, wir hörten die nächsten 10 Minuten fortan TKKG. Es regte sich zwar sofort gewisser Wiederstand (einer kannte die dargebotene Folge bereits…), aber irgendwie… Man kam sich ein wenig veralbert vor. Passte andererseits aber zur vorherrschenden Stimmung (siehe weiter unten…), aber dennoch- irgendwann wurde dieses Kinderdingens dann (glücklicherweise) entschlossen niedergebrüllt 😉
Besser war`s, denn nun konnten wir wieder, ca. zum fünften Mal, Guildo Horn lauschen, urgs. Nunja- immer noch besser als TKKG..
Die weiter Hinfahrt verlief ohne größere Höhepunkte- mal von laufenden Staus und einer netten Begebenheit abgesehen.
Wie bereits angesprochen, wollten wir ja gegen das Jenaer Fanprojekt ein kleines Spielchen zur Entspannung der üblichen Ostproblematik bei einem St.Pauli- Spiel starten… bloß standen wir irgendwie laufend im Stau- uns stand regelrecht die Zeit weg (von laufen konnte ja nicht mehr die Rede sein…), vor uns stiegen die ersten Autofahrer aus, und machten auf dem Standstreifen ein kleines Happening, packten den Elektrogrill aus, und grillten- auf dem Autobahnstandstreifen.
Mittlerweile war es 17:30 Uhr, Anpfiff war aber bereits um 19 Uhr, und wir waren noch knapp 80 km von Jena entfernt… Erste Nervosität machte sich bei den anwesenden breit… würden wir es noch rechtzeitig schaffen, um unser geplantes Fußballspiel durchziehen zu können, würden wir gar den Anpfiff des eigentlichen Spiels (was zur Nebensache geriet..) verpassen?
Schnell per Handy das Fanprojekt angerufen, von unseren Stauerlebnissen erzählt, die standen natürlich schon komplett umgekleidet bereit, eigentlich wollten wir ja bereits um 16 Uhr in Jena sein und Fußball spielen… und warteten auf uns.
Naja- und nun wurde es teilweise echt skurril… wir wollten schließlich unbedingt spielen… der Busfahrer (der im übrigen überaus OK war, gar bei unserem Kick mitspielte) stieg aus, holte die Fanladen- St.Pauli- Auswärtstrikots (welch geniale Wortkreation) aus dem Kofferraum- und wir zogen sie an…
Leider bestand dieser Trikotsatz nur aus Einheitsgrößen (wir fuhren schließlich in den Osten, da ist nicht so viel mit Individualität 😉 und- äh, naja, also, ehm… es sah teilweise wirklich äußerst lächerlich aus, wie sich einige Leute (ich geb`s ja zu, mir passten sie auch nicht….) in diese zwei Nummern zu kleinen Trikots reinzwängten ;-))
Die Hosen waren reichlich kurz, die Beine passten grade mal so eben durch diese viel zu schmalen Schlitze am unteren Ende, der Bauch wölbte die Oberteile gefährlich aus- aber sie hielten dem Druck des Körpers stand- echte Qualitätstrikots also 😉
So standen also nun exakt elf Leute in St. Paulitrikots im Bus, Trikotgröße XL, Durchschnittsgewicht des Teams wohl etwa 85 kg, einige wohl deutlich darüber 😉 und grinsten sich amüsiert, wegen des eigenen äußeren Erscheinungsbildes, an.
Unsere sportliche Verfassung würde nun jedenfalls erklären, wieso St.Pauli es nicht schafft, im Osten mal dreifach zu punkten, die Gegner lachen sich ja komplett über uns schlapp…
Gegen 18:30 Uhr, also 30 Minuten vor dem Anpfiff des offiziellen St.Paulispieles ;-)) trafen wir dann am Jenaer Stadion ein- und stiegen so richtig stolz aus- wir sahen so sicherlich wildentschlossen aus, diesen Jenaer Fanprojekt hochmotiviert entgegenzutreten- auch wenn wir wohl in unseren zumeist viel zu kleinen Trikots einfach nur lächerlich wirkten- aber das ließen wir uns nicht anmerken- und ließen uns auch nicht von den irritierten, mitleidigen Blicken der Jenaer Zuschauer abschrecken- wir wollten spielen!
„Ja, sacht mal, habt ihr noch nie Fußballfans im Vereinstrikot gesehen?“ Die Trikots waren sicherlich zwei bis drei Nummern zu klein, und wir sahen auch nicht unbedingt wie Fußballspieler aus, eher wie Sumoringer im St.Paulidress, aber was soll`s?
Wir hatten jedenfalls köstlichen Spaß, und fühlten uns wie Spieler des deutschen Meisters kurz vor der Meisterfeier 😉
Also, hochmotiviert zum Ort gestapft, wo unser Vorspiel stattfinden sollte, auch wenn dieses wohl aufgrund der vielen Staus bei der Anfahrt nur noch 15 Minuten dauern könnte, da eben gleich Anpfiff war- dort angekommen standen wir dann jedoch doch ein wenig ratlos rum… der Gegner fehlte…
Die Jenaer hatten aufgrund unseres Erscheinungsbildes also entweder soviel Respekt vor uns, dass sie das Spiel nicht antreten wollten, oder aber sie lagen in irgendeinem Gebüsch und kringelten sich vor Lachen…
Wir einigten uns auf`s erste, und gingen dann, so wie wir aussahen, in unsere Kurve, denn das reguläre Spiel sollte beginnen- eigentlich hatten wir zwar keine Lust, es uns anzusehen (wir wollten viel lieber selbst spielen), da St.Pauli ja bekanntlich im östlichen Deutschland ohnehin verliert oder Unentschieden spielt, aber ansonsten wäre die siebeneinhalbstündige Fahrt ja ganz umsonst gewesen, nachdem die Jenafans ja nicht einmal bei unserem Spiel angetreten sind…
Sieg durch Nichtantreten des Gegners oder so…
Wir gingen also in die Kurve, sahen ein Tor der Jenaer, welches wegen Abseits nicht gegeben wurde, sahen eine hochkarätige Chance von St.Pauli, die zur Ecke geklärt wurde, die anschließende Ecke brachte dann Scherz rein, Springer köpfte in den Strafraum zurück, und Trulsen staubte in der 26. Minute zum 1:0 ab.
Ja, was denn nun los?
Wir führen? Häh? Wir sind im Osten! Da können wir nicht führen!
Irgendwas läuft falsch. Schlechter Traum oder so.. Sollte es auch hier wieder an unserem Erscheinungsbild gelegen haben? Konnten wir die St. Paulispieler, die auf unsere Kurve zuspielten, insofern stärken, als das die Jenaspieler, ob unseres Anblickes nur noch ein Grinsen über hatten, und deswegen die Abwehrarbeit vernachlässigten, oder jedenfalls nicht mehr mit dem gebotenen Ernst bei der Sache sind? Sollten wir uns vielleicht bei jedem zukünftigen Auswärtsspiel in diese viel zu engen Trikots zwängen, und so die gegnerischen Abwehrspieler derartig verwirren, dass sie nicht mehr imstande sind, die Abwehrarbeit zu organisieren?
Wir führten im Osten! Ein wirklich eigenartiges, weil ungewohntes Gefühl. Passte irgendwie zu unserem Auftritt. Passte eigentlich zum gesamten Tag. TKKG- Hörspiel auf der Hinfahrt, Picknick auf dem Standstreifen der Autobahn, strahlender Sonnenschein, Guildo Horn.
Kurz vor Halbzeit hatte St.Pauli dann noch eine hochkarätige Chance, in der 2. Hälfte machte St.Pauli dann den Gegner durch die üblichen Fehlpässe wieder stark, und wie üblich schoss der eigentlich schwache Gegner sein standesgemäßes „St.Pauli kann im Osten nicht gewinnen“- Tor. Chalaskewics (oder wie auch immer der heißt) schießt aus ca. 20 Meter, Thomforde kann den nicht festhalten, und Heiko Weber schießt in der 73. Minute zum 1:1 ein, sein fünfter Treffer.
Bei dem 1:1 Unentschieden blieb es dann auch, aber das war egal, denn man wusste es ja bereits vor dem Spiel, dass wir es nicht gewinnen würden…
Nun aber folgte der eigentliche Höhepunkt des Abends- UNSER SPIEL!
Denn nun waren die in der Halbzeit von Mitarbeitern des Jenaer Fanprojektes rekrutierten Gegenspieler unseres St.Pauli- Dreamteams am vereinbarten Treffpunkt. Kurz noch im Fanprojekthaus in Erfahrung gebracht, dass der SC Freiburg natürlich auch gegen den FSV Zwickau verloren hatte (war ja mal wieder klar- wir jagen die Freiburger, die verlieren, und wir schaffen es mal wieder nicht, den Abstand zum begehrten 3. Platz zu verkürzen, fuck!
Nun denn… nachdem wir uns von dieser Enttäuschung wieder erholt hatten, rafften wir uns auf, und traten zum Spiel um die goldene Ananas an. Und soviel möchte ich sagen- es hat, obwohl wir 1:5 (oder war es 1:6, oder gar 1:7?) verloren, wirklich eine Riesenlaune gemacht, gegen die wesentlich fitter wirkenden Jenafans ein Spiel zu machen!
Ist doch wesentlich netter als so ein Hoolaufmarsch wie in Cottbus, so ein Fußballspiel- im Ernst- es gab keinerlei brenzlige Situationen, keinerlei Anfeindungen, nicht einmal Hassgesänge im Stadion, es war wirklich eine richtig nette Atmosphäre im und ums Stadion herum.
Ich hätte nicht geglaubt, mal soviel Spaß bei einem Auswärtsspiel im Osten haben zu können, kannte man bisher doch nur die dort scheinbar üblichen Hassgesänge und Steinwürfe gegen Paulifans, aber dort spielten wir gegen die Fußball- eine wirklich großartige Variante, sich mit den „gegnerischen“ Fans zu messen, die in jedem Falle wiederholt werden müsste.
Leider sieht es aber wohl im Moment eher so aus, als wenn Jena diese Saison absteigen würde, was ich, ganz ehrlich, schade finden würde. Wer nicht dabei war, hat eindeutig was verpasst. Hat auf jeden Fall eine Menge Spaß gemacht.
Aber so ist das eben mittlerweile bei uns- alle grölen am Millerntor inflationär das „You`ll never walk alone“, aber wenn es dann mal zu einem vermeintlich nicht so attraktiven Gegner geht, und dann noch mit dem Bus, wo man ja nicht hackedickevoll die Gänge vollkotzen kann, wie das wohl bei Zugfahrten mittlerweile üblich zu sein scheint (Meppen, Uerdingen, Gütersloh, …), dann fahren tatsächlich ganze 26 (in Worten: sechsundzwanzig!) St.Paulifans von Hamburg mit nach Jena.
In Cottbus waren es übrigens auch nicht mehr, und am interessantesten ist in diesem Zusammenhang noch, dass es in Jena bis auf ein, zwei Ausnahmen die gleichen Fans wie in Cottbus waren.
You`ll ever walk alone. Jedenfalls wenn es Richtung Osten geht.
Nett in diesem Zusammenhang ist dann noch, dass in Jena ein St.Pauli- Fanbus aus Berlin angereist kam- mit knapp 50 Leuten. Tja, in Berlin scheint es demnach mehr St.Paulifans wie in Hamburg zu geben. Oder aber zumindest weniger Schönwetterfans.
Geht kotzen, ihr tollen St.Paulisupporters, die ihr ja das Team nie alleine reisen lasst. Es ist wohl nur ein Gerücht, dass es „You`ll never walk alone“ heißt. Ich habe mich da vermutlich bisher immer nur verhört. Die inoffizielle Vereinshymne heißt vermutlich doch eher „You`ll ever walk alone“.
Ich habe bisher noch keiner Ostmannschaft so sehr den Klassenerhalt gewünscht wie den Jenaern, bei denen ich Erfahrungen mit „Ostfans“ machte, die mir bisher komplett fremd waren.
Der Ostfan, diesmal nicht als Steinewerfer, sondern als engagierter Fußballfan, der sich auch nicht über uns in irgendeiner Weise lustig machte, oder uns mit niederen Sprechchören oder Steinwürfe begrüßte, sondern uns als Fußballfans empfing und mit uns ein Fußballspiel mit hohem Unterhaltungsfaktor (einige Pässe kamen sogar beim eigenen Mitspieler an…) beglückte.
Insgesamt also wirklich neuartige Erfahrungen im Osten, Erfahrungen, die ich in dieser Form bisher im Osten nicht kannte, die ein ganz neues Gefühl aufkommen lies, ein Gefühl, auch im Osten nicht nur als Zielscheibe gesehen zu werden, sondern als Fans, die ihr Team unterstützen wollen, und nebenher eine Menge Spaß (mit sich selbst, aber auch mit Fans des sportlichen Gegners) haben wollen.
Ich würde es mir wirklich wünschen, dass wenigstens dieses eine Team in Ostdeutschland (oh man, dieses Wort alleine klingt irgendwie schon so herabwürdigend- sagen wir lieber „dieses eine Team in Thüringen) der Liga verbleiben kann.
Anhand der Tatsache, dass das eigentliche Spiel zwar bereits um 20:45 Uhr beendet war, wir uns aber auch noch um 22 Uhr völlig ungefährdet im Stadionbereich aufhalten konnten (bei bisherigen Spielen im Osten stieg man nach dem Spiel möglichst schnell in den Bus ein, und verließ unter Polizeischutz den Ort des Grauens…), kann man ersehen, dass es keinesfalls eine gereizte Stimmung war, die uns dort traf, sondern eine wirklich angenehme- nach unserem Kick wurden etliche, ausgeprägte Gespräche mit Janafans geführt- das muss man sich mal vorstellen- mit Fans, wo man aufgrund ihres Wohnortes bisher die Erfahrung gemacht hatte, dass ein möglichst schnelles Abreisen angebracht war, da ansonsten die Gesundheit bedroht war, unterhielt man sich, spielte Streetsoccer, und trank gemeinsam ein Bier- es geht also doch.
Nee- Jena- das müsst ihr schaffen, uns muss ein Team im Osten erhalten bleiben, wo man weitestgehend gefahrlos als Auswärtsfan hinfahre n und eine Menge Spaß erleben kann- es muss auch weiterhin eine „3. Halbzeit“ geben- eine 3. Halbzeit der angenehmeren Art!
Walk on Jena- with hope in your hearts- and you`ll never walk alone!
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