Schanzenfest reloaded am 12. September 2009

Käptn Ahlhab auf der Suche nach dem weißen Wal
Text von de.indymedia.org/2009/07/255753.shtml
Der Polizeieinsatz gegen das Schanzenfest vom 4. Juli 2009 stellt sich als heftigster Übergriff der Polizei in der 21jährigen Geschichte des Straßenfestes dar. Anwohner_innen wurden aufgefordert, ihre Fenster zu schließen, da sonst Wasser gegen sie eingesetzt würde, zahlreiche Menschen wurden durch Schlagstockeinsätze, Pfefferspray oder Wasserwerfer verletzt. Verletzten wurde die Behandlung verweigert und Journalist_innen wurden angegriffen. Ziel bei diesem Einsatz war offensichtlich, jegliche Öffentlichkeit zu verhindern und auszuschalten. Die kollektive Bestrafung der Idee eines unangemeldeten Straßenfestes.
Die Liste der polizeilichen Übergriffe ist lang und muss erst noch vervollständigt werden. Wir fordern alle Verletzten oder Zeug_innen auf, sich beim Hamburger Ermittlungsausschuss zu melden und Gedächtnissprotokolle anzufertigen. Unsere Solidarität gilt allen Besucher_innen, die an diesem Tag Verletzungen davongetragen haben oder in diesem Zusammenhang festgenommen wurden.
Verantwortlich für den Polizeieinsatz zeichnet die Innenbehörde in Person von Innensenator Ahlhaus. Der weitere Ablauf war durch die Übergabe der Verantwortlichkeiten um 18 Uhr an die Innenbehörde bereits vorbestimmt.
Bereits am frühen Abend wurde das Fest von starken Polizeikräften umstellt. Im weiteren Verlauf durchstreiften 10-20er Gruppen der Polizei in provokanter Art und Weise die Menge. Als es bis 22 Uhr trotz diesem ständigen Versuch der Eskalation ruhig blieb, nutzte die Einsatzleitung die aus ihrer Sicht letzte Gelegenheit und griff das laufende Fest von allen Seiten aus mit allem was da war an. So sieht kein lagebezogener Einsatz aus, sondern ein geplanter Angriff als politisches Symbol einer „Law and Order“-Ideologie.
Ein Vorgehen, das Ahlhaus wiederholt praktiziert hat bei der Auflösung von Demonstrationen und Angriffen auf das Grenz- und Klimacamp.

Der Einsatz von Innensenator Ahlhaus stellt alles in den Schatten, was in Hamburg in den letzten Jahren vorgefallen ist, auch unter der Ära Schill. Es ist bemerkenswert, dass es eine schwarz/grüne Koalition brauchte, um den Sicherheitswahn einer rechtspopulistischen Partei zu toppen. Innensenator Ahlhaus ist untragbar und wir werden weiter auf die Straße gehen, bis er aus seinem Amt fliegt. Wir wissen, er ist nicht das Problem, sondern lediglich Ausdruck des Problems. Er vertritt eine reaktionäre Politik, die ihren Frieden in dieser Koalition gefunden hat. Eine Politik, die längst ein bundesweites Phänomen geworden ist mit Kameraüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Internetsperren, Antiterrorgesetzen oder dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Der Staat rüstet in autoritärer Weise auf und schafft einen zunehmend reaktionäreren Gesellschaftsdiskurs.

Wir lassen uns nicht zu den Knetfiguren dieser Sicherheitsarchitekturen machen!

„Wer lebt stört!“ war auf einem Transparent am Tag nach dem Schanzenfest zu lesen. Wir haben vor, das Leben weiter in den öffentlichen Raum zu tragen. Dies beinhaltet für uns auch, den politischen Normalbetrieb zu stören und eine Stadtplanung anzugreifen, die aus öffentlichen Räumen einen Hochsicherheitstrakt herstellt.

Der gewaltsame Einsatz der Polizei hatte einen polizeistaatlichen Charakter, der sich gegen alle Menschen auf der Straße richtete. Eine Zivilgesellschaft, die gegen solche Formen der Polizeigewalt keinen Widerstand leisten würde, wäre nur noch als totalitär zu bezeichnen. Die Proteste gegen dieses Vorgehen waren ein legitimer Akt des Widerstandes. Wir werden uns von keinen Vorfällen distanzieren außer dem gewaltsamen Vorgehen der Innenbehörde!

Historisch betrachtet ist einzig und allein die Polizei verantwortlich für die Auseinandersetzungen nach dem Fest. Seit Ende der Neunziger fanden Angriffe von Beamten auf kleine Gruppen von Feiernden statt. Unter Schill ist dieses Phänomen durch massenhafte Polizeieinsätze mit schwerem Gerät zu den heutigen Straßenschlachten eskaliert. Heute, 10 Jahre nach den Streitereien um kleine Lagerfeuer, hat diese Entwicklung ihren Höhepunkt gefunden in einem Innensenator, der alles was er hasst, in diesem Fest personifiziert sieht. Der zwanghaft Wasserwerfer im Einsatz sehen will und Erfolgsstatistiken wie stundenlange Auseinandersetzungen, abgebrannte Polizeiautos und eingeworfene Polizeiwachen. „Wer Bullen sät, wird Riots ernten!“ lautete ein weiteres Transparent, das am Tag nach dem Fest auf der Straße hing und die Stimmung im Schanzenviertel und St. Pauli auf den Punkt bringt.

Nicht nur der Einsatz der Polizei war der heftigste seit Jahren. Auch der Widerstand dagegen fiel unerwartet heftig aus. Wir würden lügen, wenn wir behaupteten, dies unter den gegebenen Voraussetzungen nicht als positiv zu empfinden, denn diese Entwicklung skandalisierte erst das untragbare Vorgehen der Polizei. Wir können uns die Schlagzeilen ansonsten gut vorstellen: „Polizeieinsatz erfolgreich. Fest blieb vergleichsweise friedlich durch konsequentes Einschreiten“.
Dass zweitausend Polizisten mit Gewalt ein Fest auflösen, wäre als positives rechtsstaatliches Erfolgsmodell umgedeutet worden.

Es ist aber das Gegenteil: Die Aushebelung von Grundrechten und eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Es ist klar, dass die Auseinandersetzungen mit der
Polizei nach diesen Ereignissen weiter an Intensität zunehmen werden.
Verantwortlich dafür zeichnet alleine die Hamburger Polizeilinie und eine repressive Politik, die immer mehr Bereiche des Lebens durchdringt.

Die Grundlage dieser Staatsgewalt bildet die Durchsetzung einer Ökonomisierung des Sozialen, die unsere Lebensverhältnisse in die standortpolitischen Vorgaben zwingen soll. Es geht um Verwertbarkeit und Funktionieren im System. Um die demütige Anerkennung von gesellschaftlichen Ausschlüssen, um Verteilung und Besitz. Um die alleinseligmachende Anerkennung der kapitalistischen Ordnung und bestehenden Normen. Wir verweigern uns diesen gleichgeschalteten Wirklichkeiten und Identitäten und basteln uns unsere Lebensentwürfe selber. Wir mögen verwoben mit dem Bestehenden sein und unsere Versuche haben Ecken und Kanten. Es knallt und raucht und manchmal geht auch etwas schief. Aber wir sind obenauf und bleiben in Bewegung.

Wir werden weiterhin und mit wachsender Begeisterung das Straßenfest im Schanzenviertel durchführen. Auch um zum Ausdruck zu bringen, dass wir uns staatlicher Repression nicht beugen. Wir feiern auf der Straße, wir bringen unsere politischen Vorstellungen in die Öffentlichkeit, wir wehren uns gegen die Stadtentwicklung und wir lassen uns nicht einschüchtern von einer Politik, die genau darauf mit dem Arsenal des polizeilichen Ausnahmezustandes reagiert.

Wir haben viel diskutiert, wie eine angemessene Antwort auf die Ereignisse am Abend des 4. Juli aussehen könnte. Mehrere Anwohner_innen haben uns schließlich auf die Idee gebracht: Am 12. September feiern wir in diesem Jahr ein zweites Schanzenviertelfest!

Ein neuer Anlauf, bei dem wir der Innenbehörde die Möglichkeit geben, ihr Einsatzkonzept zu überdenken.

Wir laden alle ein, am 12. September nochmal ein großes und schönes Straßenfest im Schanzenviertel zu feiern. Nicht um die Gewaltphantasien der Innenbehörde zu bedienen, sondern um zum Ausdruck zu bringen, dass wir uns davon keinesfalls beeindrucken lassen. Aus Solidarität mit den Betroffenen der Übergriffe am Samstag, um Geld zu sammeln für Prozesse und zur Unterstützung von Leuten, die verletzt wurden, aus dem politischen Willen heraus, die autoritären Inszenierungen einer Innenpolitik nicht zu respektieren, die jeden Bezug zur Realität im Stadtteil verloren hat. Feiern wir ein großes und breites Fest gegen Polizeigewalt!

Unterstützen wir den Innensenator bei der Suche nach dem großen weißen Wal. Dem sagenumwobenen Feind der Kapitäne und Hansestädte, welchen Ahlhausahab in den Untiefen des Schanzenviertels schlummern sieht und dem er mit einer ganzen Flotte aus Wasserwerfern, Polizeifahrzeugen und Überwachungskameras unablässig auf der Spur ist.
Das Ende dieser Geschichte kennt jedes Kind. Sorgen wir dafür, dass sie ihren Anfang nimmt!

„Käptn Ahlhab auf der Suche nach dem weißen Wal“ wird zum Motto des Schanzenfestes am 12. September 2009. Alle sind eingeladen, ihrer Inspiration freien Lauf zu lassen! Kommt nach Hamburg – kommt ins Hamburger Schanzenviertel, um selbstorganisiert Aktionen, Infostände, Theater, Kunst, Kultur und Propaganda in die Straßen zu tragen! Die Stadt ist groß und in Unruhe wie ein Ozean im Sturm. Taucht ein in die Welt von Moby Dick!

Ahlhab und die Walfänger des Sicherheitsstaates versenken!
Gegen staatliche Repression und Kontrolle!
Gentrifizierung stoppen – Kapitalismus abschaffen!

Anwohner_innen und Initiativen aus dem Schanzenviertel

Moby Dick; oder: Der Wal (englisch Moby Dick; or: The Whale) ist ein 1851 in London und New York erschienener Roman von Herman Melville. Das erzählerische Rückgrat des Romans ist die schicksalhafte Fahrt des Walfangschiffes „Pequod“, dessen Kapitän Ahab mit blindem Hass den weißen Pottwal jagt, der ihm das Bein abgerissen hat. Entlang dieses erzählerischen Fadens, der knapp die Hälfte des Romans ausmacht, reihen sich zahlreiche philosophische, wissenschaftliche, kunstgeschichtliche und mythologische Exkurse, zu denen noch viele subjektive, mal lyrische, mal auch ironische Betrachtungen kommen. Melville versucht in Moby Dick, die ganze komplexe moderne Welt in ihrer Vielfalt und Zersplitterung abzubilden.