Stille hören
Moin, wann habt ihr eigentlich zuletzt mal so rein gar nichts gehört, also wirklich nichts? So richtige Stille?
So etwas scheint es in Hamburg nicht mehr zu geben, vollkommern unmöglich, einfach mal nichts zu hören, man ist immer von einem immerwährendem Geräuschebrei umgeben. Wie hört sich Stille eigentlich an? Die Gesellschaft hat die „Unerträglichkeit der Stille“- Krankheit. Stille wird als belastend empfunden.
- Du liegst nachts wach im Bett, und lauscht der Dinge, die du da hörst. Du hast aber Probleme, Dinge aus diesem Geräuschebrei herauszuhören, hörst kein Auto draussen entlangfahren, sondern nur einen monotonen Brummton, das Geräusch, was hunderte irgendwo herumfahrende Autos verursachen.
Du hörst aber kein Vogelgezwitscher. - Es gibt kein Restaurant mehr, in dem keine Musik vor sich hindudelt. Bei jedem Essen wirst du von einer immerwährenden Geräuschkulisse besudelt. Es ist nicht das knacken der Erbse, die du beim Essen vernimmst, es ist die Stimme von Madonna, oder noch schlimmer, es ist das geschrammel irgendwelcher Gitarren und das getröte irgendwelcher Blechinstrumente, wenn du in einem Restaurant in St. Pauli sitzt, in denen scheinbar immer Ska vor sich hinlärmt.
Du versuchst, dich mit jemanden zu unterhalten, willst diesem Jemand was zärtliches zuflüstern, entdeckst dich aber selbst dabei, wie du, wild herumfuchtelnd, dein Gegenüber nur noch anschreist, als seist du mitten im Streit mit jenem Menschen, den du eigentlich nur gern hast, dem du etwas liebevolles mitteilen möchtest – und wo doch nur ein herumgeschreie bei überbleibt. Hast du schonmal versucht, liebevoll zu schreien?
Ernsthaft, es scheint in St. Pauli kein bezahlbares Restaurant mehr zu geben, bei dem man sich nicht schreiend unterhalten müsste… - Überhaupt ist diese scheinbar immer und überall hörbare Musik nur noch nervend. Du schlenderst durch das morgendliche St. Pauli, und wo du vor 5 Jahren noch dasselbe gemacht hast, dabei die Morgensonne genossen hast, da kommen dir heutzutage Schulkinder entgegen, die nicht, wie vor fünf Jahren ihren MP3 – Player dudeln haben, sondern heutzutage sind es die Schulkinder, die sich mit ihren Handys ihr Geschrammel anhören – möglichst so laut, dass ihre Umgebung ihren merkwürdigen Musikgeschmack zu teilen hat. Ist US5 wirklich so gut?! Und wieso scheint es eigentlich keine Kopfhörer mehr zu geben?
- Du rufst beim Arzt an, um einen Termin zu vereinbaren. Während die Sprechstundenhilfe schaut, wann denn noch was frei wäre, kannst du jedoch nicht die Stille aus dem Hörer geniessen, sondern hörst stattdessen den Drafi Deutscher über ihrendwelches Marmor und Eisen krächsen.
- Du gehst abends an die Elbe. Einfach, um alleine für dich in der Welt zu sein, das Wasser rauschen zu hören. Hörst du aber nicht, aber du hörst trotzdem nicht nichts. Du hörst das jaulen der Van-Carrier- Sirenen, die sich wie eine Störungssirene in einer grossen Fabrik anhören und penetrant über die Elbe hinwegschwappen.
- Du gehst eines Nachmittags in den Sachsenwald. Statt Stille, oder wenigstens röhrende Hirsche und Vögel hörst du Hundegebell und Kindergeschrei, wobei letzteres noch das angenehmere ist, jedenfalls zum Vergleich zu den Cross-Maschinen, die irgendwo anstelle der Hirsche herumröhren.
- Du liegst im Bett, neben dir deine Katze. Die würdest du im Regelfall wohl schnurren hören – wenn nicht gerade der besoffene Nachbar lauthals zum Radio mitsingen würde. Oder im Treppenhaus mal wieder jemand vergessen hat, dass man den bereits im Schloss steckenden Schlüssel nicht nur zum abschliessen der Tür verwenden kann, sondern auch eine Möglichkeit darstellen könnte, die Tür vielleicht nicht lauthals zuzuschlagen, sondern zuschnappen zu lassen.
- Nicht einmal im Internet kann man surfen, ohne dass man bei besonders „kreativen“ Webseiten mit lästigen Sounds genervt wird. Wie gut, dass sich Flash deaktivieren lässt…
Insgesamt scheint sich die Gesellschaft an diese permamente Geräuschkulisse gewöhnt zu haben. Ich geniesse gleichwohl die wenigen Momente der relativen Stille. Relativ deswegen, weil es wirklich sowas wie komplette Stille nicht mehr zu geben scheint, ich erinnere mich jedenfalls nicht mehr daran, wann ich das letzte Mal gar nichts mehr gehört habe.
Ich schliesse jetzt die Augen, und nehme nun doch wieder das Schnurren meiner Katze wahr, höre auf mein eigenes Atmen.
Und warte auf eine Talkshow, in der sich die Talkmaster schweigend gegenübersitzen. Oder schalte doch einfach nur aus und ab.
Kommentar verfassen